Die Geschichte des Passes

Der Pass zur Zeit der Römer

Erst ab dem Zeitpunkt, als die Römer die Poebene erobert hatten (225 bis 22 v.Chr.) und nachdem Hannibal die Alpen überquerte hatte (218), begannen die antiken Geschichtsschreiber genaue Kenntnisse über unsere Berge zu haben. Sie gaben dem Bergmassiv, das sich zwischen dem Furkapass im Osten und dem Pass Seigne im Osten erstreckt und das heute „Walliser Alpen“ genannt wird, den Namen „Alpes Pennines“.

Zu Beginn der christlichen Zeitrechnung wandte sich Titus Livinius (64 [59] v.Chr. bis 17 n.Chr.) zurecht gegen die schon damals verbreitete und auch noch heute tiefsitzende Fehlansicht, dass sich der Name dieser Bergkette vom keltischen Gott Poenius herleitet. „Ich finde es sehr befremdend“ schreibt er „dass es so viel Ungewissheit über den Pass gibt, auf dem Hannibal die Alpen überquerte und dass man gewöhnlich angenommen hat, dass es sich dabei nur um die Alpen Pennines handeln könnte, die also ihren Namen vom Wort Poeni herleiten, da er alle anderen Zugänge von halbgermanischen Stämmen für seine Truppen verschlossen vorfand. Es ist aber eine dieser überlieferten Meinung widersprechende, wohlbewiesene Tatsache, dass die Veragrer, die Einwohner dieser Region, keinerlei Kenntnisse darüber haben, dass je eine punische Armee ihren Bergen den Namen Pennines gegeben hat, die diesen Namen vom Gott Penn herleitet, den man auf den Spitzen dieser Bergen angebetet hätte.“

Der Grosse Sankt Bernhard wurde „Summus Poeninus“ genannt, der Pass selbst „Fores Poeninae“ und der kleine See, dem die Quelle einer der Nebenflüsse der Doire entspringt, „Penus Lacus“.

Der Geograph Strabon (58 v.Chr. bis 21-25 n.Chr.) hinterliess eine Beschreibung der Wege über die Alpen Grées und Pennines : „Unter den verschiedenen Wegen, die Italien mit dem transalpinen, septentrionalen Gallien verbinden, gibt es jenen durch das Land der Salasser (das heutige Aostatal), der nach Lyon führt. Dieser Weg hat zwei Linien, eine, die man mit Wagen befahren kann, die aber viel länger ist (der Kleine Sankt Bernhard), die andere überquert den Berg Penninus (der Grosse Sankt Bernhard), welche die Distanz verkürzt, es ist dies aber nur ein schmaler, steiler Fussweg.“

Bis zur Eroberung durch die Römer blieben diese Wege trotz den Bemühungen der Alpenbewohner, sie zugänglicher zu machen, sehr schwierig zu begehen. Ein Teil der Einheimischen, vor allem jene, die sich in der Nähe der Pässe niedergelassen hatten, lebten von der Räuberei. Um den Weg zu sichern, entsandte Cesar 57 v. Chr. seinen Leutnant Servius Galba zu den Nantuaten, Veragrern und Sedunern : er „wollte den Weg durch die Alpen befreien, den die Kaufleute unter grossen Gefahren und bei Bezahlung hoher Durchgangszölle zu begehen die Gewohnheit hatten“. Dieser Versuch hatte jedoch kaum Erfolg. Trotz der römischen Eroberungen konnten sich die Salasser und die anderen Bergvölker halten. Strabon präzisiert gar, „bis zu jenen letzten Jahren bewahrten die Salasser eine gewisse Macht und fuhren fort, mit ihrer Räuberei jenen, die um die Alpen zu überqueren durch ihre Gebiete ziehen mussten, viel Schaden zuzufügen“. Augustus gelang es dann schliesslich sie mittels einer ganzen Serie von Expeditionen zwischen 25 und 7 v. Chr. einzuschränken.

Zu jener Zeit unterwarfen sich die vier Keltenstämme, die das Wallis besiedelten, (im Westen am Genfersee die Nantuaten, am Rhoneknie die Veragrer, im Mittelwallis die Seduner und im Oberwallis im Osten die Uberer) den Römern. Sie wurden in die 15 v. Chr. errichtete Provinz Raetia et Vindelicum eingegliedert. Während des 1. Jahrhunderts scheint St. Maurice der Hauptort des ganzen Wallis gewesen zu sein, aber unter Kaiser Claudius, als die Veragrer das latinische Bürgerrecht erhielten und das Forum Claudii Vallensium in Martigny errichtet worden ist, erlangte Octodurus die Vorherrschaft. Es wurde zum Zentrum des römischen Einflusses und zum administrativen Sitz des geeinten Wallis.

An der Kreuzung wichtiger Wege gelegen wurde es zum Hauptort. Die Ausgrabungen konnten bis anhin nur teilweise seine Ausdehnung aufdecken. Octodurus verschwand nämlich im Verlauf der Zeit, da es immer wieder Opfer von Zerstörungen und vor allem von Bränden war ; die mittelalterliche Burg und später die moderne Stadt haben die meisten der römischen Überreste überdeckt, die oft dem Bau neuer Konstruktionen weichen mussten. Man konnte dennoch verschiede Quartiere näher bestimmen, nicht nur das Forum und dessen unmittelbare Umgebung, sondern auch einen anderen Platz, der mit Säulenhallen geschmückt war. Das 105 m messende Forum und la grande basilique (61 X 34 m) mit seinen magasin-portique sowie das Amphitheater, das, gemäss, Simonett 6000 Zuschauerfassen konnte, geben uns einen Eindruck von der Bedeutung dieses Orts in der Römerzeit.

Auf der anderen Seite des Gebirges hatte Augustus 25 v. Chr. auf dem befestigten Legionslager, welches das antike Cordèle, den Hauptort der Salasser, einschloss, die Stadt Augusta Praetoria, das heutige Aosta, errichten lassen. Es diente als Sitz von 3000 Prätoriern, deren Aufgabe es war, das ganze Tal unter der Vorherrschaft der Römer zu halten und die Wege über den Kleinen St. Bernhard und später auch über den Gr. St. Bernhard zu sichern. So wurde es zu einem militärisch wichtigen Ort. Besser geschützt als Octodurus ist seine Stadtmauer, die ein Viereck von ca. 700 m Länge und 600 m Breite misst, bis heute fast intakt erhalten geblieben. Die imposanten Tore, der Triumphbogen des Kaiser Augustus, die Überreste des Amphitheaters und des Forums bezeugen heute noch eindrücklich seine einstige Bedeutung.

Der Handelsweg über den Summus Poeninus, der Rom mit seinen transalpinen Provinzen verband, trug wesentlich zum Wohlergehen des Landes während der gesamten Kaiserzeit bei. Augusts baute den Weg über die Alpen aus und liess ihn so weit wie möglich verbreitern. Damit konnte er auch von Lasttieren begangen werden. Sogar Karren konnten den Weg hinaufgezogen werden. Um auf den Pass gelangen zu können, wurde auf dessen südlicher Seite ein etwa 50 m langer, 3 m 70 breiter Weg in Zigzagform gehauen. Heute noch kann man in seinem unteren Teil die Stufen erkennen, die den Tieren den Aufstieg erleichtern sollten. An gewissen Stellen erkennt man am Fuss der Felsen Löcher, in welche, laut Ferrero, die Enden der Balken gesteckt worden sind, die ausgelegt wurden, um,den durch Wasser und Schnee zerfurchten Weg zu ebnen. Im oberen Teil führte der Weg vor der römischen heiligen Stätte vorbei, dann dem Seeufer entlang und auf der nördlichen Seite in den Grund der Schlucht hinunter. Seine Streckenführung entspricht wohl jener der alten Strasse, die heute noch erkennbar ist. In der Folgezeit wurde der Weg immer wieder ausgebessert. Claudius liess ihn 47 n. Chr. mit Pflastersteinen ausbauen. Er war so gut ausgebaut, dass 22 Jahre später die römischen Truppen des Legaten Alienus Caecina im Zeitpunkt der Schneeschmelze und der Lawinen den Mont Joux ohne irgendeinen grösseren Zwischenfall überqueren konnten.

Auf dem Pass, auf 2464 m gelegen, errichtete man ein kleines Heiligtum, das dem Jupiter Penninus, der den keltischen Gott Penn ablöste, geweiht wurde. Es war dies ein bescheidener Tempel „in antis“, dessen Grundmauern in den Felsen gehauen worden sind. Sein Dach wurde mit Steinplatten bedeckt und seine Brüstungen aus dekorierten Lehmziegeln geschaffen, der Boden war bekleidet mit Fliessen aus Marmor, um den Tempel herum wurde der Felsen geebnet.
Im Nordosten und im Osten des Tempels standen zwei Häuser : die Wohnung der Tempelwächter und die Mansio, d.h,. ein einfacher Unterschlupf für die Reisenden und deren Lasttiere. Unter den Leuten, die über den Mont Joux reisten, waren Soldaten, Kaufleute, reiche Privatpersonen, die ihre Besitztümer aufsuchten, Funktionäre. Alle opferten ihre Votivtafeln und erbaten sich damit den Schutz des Berggottes.

Es ist wahrscheinlich, dass diese römischen Bauten bis zum Ende des 4. Jahrhunderts Bestand hatten. Auf alle Fälle, als der hl. Augustinus in seinem Werk „Vom Gottesstaat“ die Frömmigkeit Theodosius lobt, gratuliert er ihm, die in den Alpen errichteten Götzenbilder des Jupiters vernichtet zu haben.

Das Hospiz in Bourg St. Pierre

Gegen Ende des Reichs fielen die Barbaren ein und drängten die Römer zurück. Die Ankunft der Hunnen in Europa provozierte eine Erschütterung, deren sukzessiven Folgen bis in die äussersten Regionen im Osten Germaniens zu spüren waren. 443 etablierten sich die Burgunder in Savoyen. Aetius hatte ihnen dazu den Zugang geöffnet. Sie breiteten sich schnell bis in den Norden aus, auch in den westlichen Teil der heutigen Schweiz. Es ist wahrscheinlich, dass sie dabei zuerst das Wallis besetzten. 534 erfolgte diese Eroberung, der dann die Teilung des Burgunderreichs durch die Söhne Clovis folgte. Fränkische Könige benutzen bald einmal die Burgunder auf ihren Expeditionen, die sie jenseits der Alpen durchführten, bis zu jenem Zeitpunkt als die Lombarden in Halbinsel besetzten und sich von dort bis nach Gallien ausbreiteten.

Zur Zeit der Karolinger war der Weg über den Mont-Joux zusammen mit jenen über den Mont-Cenis und den Septimer nicht bloss einer der drei guten Wege über die Alpen. Er war der wichtigste, ja es scheint, dass er gerade für den Handel der weithin bedeutendste gewesen ist. Er besass bereits „cluses“, d.h. befestigte Posten. Auf seinem Heimweg aus Italien etablierte Karl der Grosse auf allen Alpenpässe Funktionäre, die gleichzeitig Steuereintreiber und Sicherheitsbeamte gewesen sind. Sie waren beauftragt, alle Passanten zu überwachen.

Zu jenem Zeitpunkt wurde eine neue Schutzhütte, und zwar ein Hospiz und ein Kloster, wohl für Benediktiner, erbaut. Dieses kam nicht mehr auf dem Pass, sondern am Fuss des Berge zu stehen, am Ort des heutigen Dorfs Bourg-Saint-Pierre. Das Kloster wurde von Mönchen geführt, deren Funktionen und Titel jenen im heutigen Hospiz ähnlich waren. An ihrer Spitze befand sich ein Abt (später wird es ein Propst sein), der von einem Geistlichen assistiert wurde, der sich um die Armen kümmerte und die Pilger bewirtete. Bereits am Ende des 9. Jahrhunderts finden sich Erwähnungen der marronniers (maron, marron, Bergführer), deren Aufgabe es war, Reisende, die im Gebirge in Schwierigkeit geraten waren, zu retten und ihnen bei der Überquerung des Passes zu helfen.

Das Hospiz Saint-Pierre de Mont-Joux gehörte zum königlichen Besitztum. Einige seiner Besitztümer in der Waadt sind bekannt. Diese sind aber zweifelslose bloss die bekannten Teile eines weit grösseren Netzwerkes, denn auf dem am stärksten frequentierten Weg, der den Süden mit dem Norden verband, bot das Hospiz Päpsten, Kaisern, Königen, Prinzen, einer Menge von Pilgern Gastfreundschaft. Viele von ihnen bezeugten ihre Dankbarkeit durch Schenkungen.

Wir haben keine genauen Kenntnisse darüber, in welchem Ausmass die Ungaren das Burgund verwüsteten, aber wir wissen wie sehr die Sarazenen im 10. Jahrhundert ihre Streifzüge in den Alpen vorangetrieben hatten, bis zu jenem Tag, als die Gefangennahme des hl. Mayeul, Abt von Cluny, erfolgte. Als Reaktion auf dieses Ereignis verstärkten die regulären Kräfte den Kampf gegen die Eindringlinge, die schon im Krieg gegen sie und die Einheimischen um den Besitz des Landes standen. Ihre Verwüstungen hatten die Kirche von Bourg-Saint-Pierre erreicht, die Hugues II., Bischof von Genf, Anfang des 11. Jahrhunderts wiederaufgebaut hatte. Wir wissen nicht, ob die Abtei das gleiche Schicksal erlitten hatte und auch wiederaufgebaut wurde. Dass Rudolf III. die Abtei 1011 seiner Gattin Ermangard geschenkt hat, impliziert nicht zwangsläufig die Unversehrtheit des Gebäudes. Die dem Kloster gehörenden Besitztümer stellten ja bereits einen echten Wert dar. Aber es scheint durchaus wahrscheinlich, dass die Abtei das gleiche Schicksal wie die Kirche erlitten hatte und dass Rudolf III. seiner Frau die Aufgabe übertragen hat, die Ruinen aufzurichten. Auf alle Fälle nennt ein englischer Reisebericht, um das Jahr 990 verfasst, der die Stationen des Wegs von Rom bis zum Ärmelkanal, über den Mont-Joux auflistet, weder ein Hospiz auf dem Pass noch in Bourg Saint Pierre. Des Weiteren deutet auch Raoul Glaber in seinem Bericht über den Durchzug des normannischen Heeres um 1020 darauf hin, dass es zu jener Zeit kein Hospiz auf dem Berg gab und dass die Räuberei der Sarazenen abgelöst worden war durch die Belästigungen durch Erpresser, welche die Zugänge durch die Schluchten besetzt hielten und die Reisenden wie auch die Pilger ausnahmen.

Die Gründung des Hospizes auf dem Mont-Joux Pass

Jeder kennt die wunderbare Geschichte des heiligen Bernhard von Menthon : dieser junge Mann stammte aus einer Adelsfamilie, die mit Olivier, pair (Herzog ?) Frankreichs und comte (Grafen ?) von Genf, verbunden war. Er zeigte bereits in seiner frühesten Kindheit erstaunliche Veranlagungen und dachte damals schon daran, die auf dem Mont-Joux und Colonne-Joux aufgerichteten Statuen des Jupiters zu stürzen. Er begann Theologie zu unterrichten als ihn sein Vater, der für ihn eine Braut gefunden hatte, auf das Schloss Menthon in Savoyen zurückbeorderte. Am Vorabend seiner Hochzeit zog sich Bernhard, der nicht daran dachte, in den Ehestand zu treten, in sein Zimmer zurück, um sich dem Gebt hinzugeben. Der hl. Nikolaus erschien ihm im Traum und befahl ihm, eine Botschaft seinen Eltern bezüglich seiner Entschlossenheit hinterlassend, sich nach Aosta zu begeben, wo der Erzdiakon Peter sich um seine Berufung kümmern würde. Im Schutz der Nacht floh Bernhard und eilte auf Nebenstrassen nach Aosta. Hier trat er in das Kapitel ein und folgte nach dem Tod von Peter diesem in dessen Amt. Auf Betreiben des hl. Nikolaus verwirklichte er seinen Kindheitstraum, dem Dämonen, dem auf dem Berg Statuen errichtetet worden waren, zum Schweigen zu bringen. Er besiegte ihn in einem wunderbaren Kamp und gründete Mitte des 10. Jahrhunderts ein Klosterhospiz auf dem Mont-Joux und ein anderes auf dem Colonne-Joux. Nachdem er 40 Jahre lang das Amt des Erzdiakons ausgeübt hatte, verstarb der Heilige in Novara im Jahr 1008 im Alter von 85 Jahren.

Aber diese wunderbare Geschichte, die sich ab dem 15. Jahrhundert vor allem dank der Erzählung „Das Geheimnis des hl. Bernhard von Menthon“ verbreitete, die durch ein Theaterstück von Henri Ghéon grosse Popularität erfahren hat, ist bloss eine Legende. Obwohl jedoch die Arbeiten von Historikern zur Genüge aufgewiesen haben, dass die Quelle voller Fehler ist, behielt diese Erzählung bis heute für die Gläubigen einen grossen sentimentalen Wert. In Tat und Wahrheit, haben wir kaum historische Fakten. Wir wissen allenfalls, dass er ein edler Mann aus dem Aostatal gewesen ist, der in Aosta das Amt des Erzdiakons bekleidete. Kurz vor seinem Tod kam er in Pavia mit Kaiser Heinrich IV zusammen, der auf dem Weg nach Rom war, um Papst Gregor VII. abzusetzen und die Stadt zu zerstören. Auch was den Ursprung des Hospizes anbelangt, besitzen wir kaum mehr Präzisierungen. Es gibt keine Gründungsurkunde, auch wenn dies in verschiedenen Dokumenten angegeben wird. Ein kaum bekanntes Manuskript in Verceil aus dem 15. Jahrhundert, die eine Erzählung des Lebens des hl. Bernhard enthält, überliefert folgenden sehr schlichten Bericht :
„Eines Tages überquerte der hl. Bernhard einen Pass, auf welchem einst die Bewohner dem Jupiter in seinem Tempel huldigten. Dort gab es eine grosse Anzahl böser Geister und einer von ihnen belästigte die Reisenden. In den benachbarten Regionen lösten böse Engel mit der Erlaubnis Gottes -die Sünden der Bewohner verlangten es- tödliche Sturmböen aus. Der Mann Gottes, der das Leid der Bewohner sah, begann zu ihnen über die Barmherzigkeit Gottes und über seine Härte den Sündern gegenüber zu sprechen. Während seiner Predigt sagten alle zu Tränen gerührt : „Befiehl uns. Was auch immer du uns aufträgst, wir werden deinen Vorschriften gehorchen, solange der Zorn Gottes von uns abgewendet wird.“ Der Heilige befahl ihnen, drei Tage lang zu fasten und sie taten Busse. Und einige Tage nachdem er selber gefastet und gebetet hatte, begab sich der Heilige mit einem Kreuz ausgestattet, zu dem berüchtigten Ort. Als der Dämon brüllend und schrecklich anzusehend auf ihn zukam, ergriff der Mann Gottes diesen sofort und befahl ihm zu schweigen. Der Dämon liess sich wie ein kleines Tier binden. Der Heilige führte ihn dann an einen verlassenen Ort und befahl ihm im Namen der heiligen Dreifaltigkeit und im Namen Jesu Christi, nie wieder jemandem Schaden zuzufügen. Sobald er den Tempel des Jupiters auf diese Weise befreit hatte, fand dieser Ort wieder den Frieden. Und bis heute gibt es an diesem Ort, an dem ein Kloster errichtet worden ist, viele Reisenden, die mit grosser Gastfreundschaft beherbergt werden.“

Dieser Bericht spricht zwar nicht ausdrücklich von Räubern, aber es ist nicht unmöglich, dass die Einheimischen die Räuberbanden, die den Durchgang besetzten, als Dämonen, böse Geister und als böse Engel betrachtet hatten. Wenn die Räuber auch noch irgendeine Form der Hexerei betrieben hatten, kann man sich leicht vorstellen, was für einen Einfluss sie auf die Bewohner ausübten und welch ein Schreck die Einwohner in den Bann gezogen hatte.

Man kann also annehmen, dass ihre Klagen den hl. Bernhard bewogen haben, den Pass von den Räubern zu befreien, die in den Ruinen des Jupitertempels und in der römischen „mansio“ geeignete Zufluchtsstätten gefunden hatten. Damit erfüllte er eine der Funktionen seines Amtes als Erzdiakon von Aosta, nämlich jene, die Armen und Unglücklichen zu beschützen, indem er durch den Bau eines Hospizes die Sicherheit dieses stark begangenen Verbindungswegs sicherte.

Sicher ist, dass der hl. Bernhard nicht das Kloster in Bourg Saint Pierre wiederaufgebaut hat, dessen Ruinen der isländische Mönch Nicolas Saemundarson noch im 12. Jahrhundert vorfand. Bernhard erbaute das Hospiz Mitte des 11. Jahrhunderts oben auf dem Pass. Es dominiert auf der Walliser Seite des Passes den sehr steilen Abhang der Combe des Morts. Trotz des rauen Klimas dieses Standortes ist es wirklich „in loco et passagio melius apto“. Immer ist es den Gefahren grosser Lawinen entkommen.

Der heilige Bernhard hat jedoch kein Gebäude errichtet, das mit dem heutigen vergleichbar ist. Dank einer bemerkenswerten archäologischen Untersuchung von Louis Blondel wissen wir, dass der Heilige ein sehr einfaches Haus mit kleinen Schlafzellen für sich und seine Gefährten gebaut hat. Es handelte sich um eine gewölbte Steinhütte, die jenen auf den umliegenden Alpweiden im Tal vom Entremont ähnelte. Eine seiner Zellen, „Höhle der geistlichen Sammlung des hl. Bernhard“, existiert heute noch und wird als ältester Zeuge des Hospizes auf dem Pass verehrt.

Das ursprüngliche Haus, dessen Fundamente erhalten geblieben sind, dürfte aus dem Ende des 11. Jahrhunderts stammen. Es war ein starkes Gebäude mit dicken Mauern. Es bestand aus einem Erdgeschoss mit drei grossen Speisesälen, einer Küche, einer Heizung und einem Korridor gegenüber dem Haupteingang, der von einem Turm überragt wurde, der später einen Kirchturm bilden wird. In einem kleinen vorspringenden Türmchen führte eine Treppe in den ersten Stock, wo sich der Schlafsaal, die kleine Kapelle des hl. Michael und die Schlafstätte der Ordensmänner befanden.

Die Hospizkirche, unter dem Namen des hl. Nikolaus, wird 1125 zum ersten Mal erwähnt. Der hl. Bernhard folgte dabei nur einer damaligen weitverbreiteten Bewegung. Denn zu jener Zeit entwickelte sich der Kult dieses Heiligen, Schutzpatron der Händler, rasant. Die ihm geweihten Kirchen finden sich in grosser Anzahl entlang der Route der Kaufleute und Pilger, die von Italien über den Mont Joux zum Becken der Oberen Seine führt. Man kann im weitern auch einen Zusammenhang zwischen der Weihe des Hospizes an den hl. Nikolaus und den häufigen Passagen von Papst Leo IX. in den Jahren 1049 und 1059 vermuten. Erst ein Jahrhundert später wurde ihm den Namen des hl. Bernhard hinzugefügt, was dann fortan bestehen blieb.

Was die Gemeinschaft betrifft, die das Hospiz führte, wäre es voreilig anzunehmen, dass sie bereits zu Beginn gemäss der Regel des hl. Augustinus konstituiert worden ist. „Es ist wahrscheinlicher“ bemerkte P. Gaiffier, bollandiste, dass die Gründung des hl. Bernhard vergleichbar mit jenen zahlreichen halb weltlich, halb klerikalen Institutionen ist, die man zu keiner der traditionellen Formen des religiösen Lebens zählen konnte und die erst allmählich eine reguläre Organisation und kirchenrechtliche Statuen erhalten haben, indem sie sich meistens bestehenden Orden anschlossen.

Als die Institution gegründet war, brauchte sie Einkommen, um die Gastfreundschaft gewährleisten zu können. Es kann vermutet werden, dass sie diese zuerst in den Besitztümern der ehemaligen Abtei von Saint Pierre de Mont Joux gefunden hat, deren Nachfolge sie ja in gewisser Weise angetreten hat. Die Liste der Schenkungen an das neue Haus beginnt erst in der Charta von 1125. Eine Bulle von Papst Alexander III aus dem Jahr 1177, die in Venedig ausgestellt worden ist, stellt das Hospiz unter seinen Schutz und bestätigt die Besitztümer des Hospizes. Dabei zählt sie fast achtzig Besitztümer auf, die in der Schweiz, Italien, Sizilien, Frankreich und England lagen. Diese entstanden nicht plötzlich aus dem Nichts. Sie befinden sich alle auf den Handelswegen, die von den Kaufleuten des Mittelalters begangen wurden. Es wäre interessant herauszufinden, unter welchen Umständen und in welcher Reihenfolge das Hospiz zu diesen Gütern gekommen ist. Dank seiner privilegierten Lage an einem stark begangenen Verbindungsweg spielte das Hospiz auf dem Mont Joux eine grosse Rolle für die Ausbreitung des Kultes des hl. Nikolaus im Nordwesten der Alpen.

Im Verlauf des Mittelalters

Der Weg über den Mont Joux war nicht nur eine wichtige Handelsroute zwischen dem Norden und dem Süden, er war auch einer der Hauptwege der Pilger nach Rom. „Seit Jahrhunderten“ schreibt E. Mâle „haben Rom und die Apostelgräber die Massen in Bewegung gesetzt. Im Sommer, als die langen Tage zurück waren, und die Überfahret durch die Furt der Flüsse leicht war, stiegen die Pilger von den Alpen hinab.“ Der Pass war einer der Tore nach Italien. „Par les monts de Monjeu ou moult a fort passage“ Auf diesem Weg stieg Karl der Grosse nach Angaben des Ritters Ogier im 12. Jahrhundert in die Lombardei hinunter, als er Rom von den Sarazenen befreien ging.

Dank den Pilgern verbreitete sich der Ruhm des neuen Hospizes schnell in der gesamten christlichen Welt. Der Pilgerführer nach Santiago de Compostela, der um 1139 in Frankreich verfasst worden war, erwähnt ihn bereits als einen der drei grossen Hospize der Welt :

„Drei Säulen, die besonders für die Unterstützung der Armen notwendig sind, wurden von Gott in dieser Welt errichtet : das Hospiz in Jerusalem, das Hospiz auf dem Mont Joux und das Hospiz der hl. Christine auf dem Somport, Diese Hospize wurden an Orten errichtet, wo sie notwendig waren. Es sind dies heilige Orte, Häuser Gottes zum Halt der heiligen Pilger, Raststätte für die Bedürftigen, Trost der Kranken, Heil der Toten und Hilfe der Lebenden.“

Die deutschen Kaiser, die Päpste, die englischen Könige und die Grafen von Savoyen stritten sich um die Ehre, zum Wohle einer der Christenheit so nützlichen Stiftung beizutragen. Bischöfe und Prälaten aus der Nachbarschaft schenkten dem Kloster eine Reihe Güter. An vielen Orten gründeten Reisende neue Hospize, die die Pilgerstrassen, wie jene nach Salin, in der Franche-Comté, säumten und schenkten diese dem Hospiz auf dem Mont Joux.

Mittel flossen von überall her. So konnte im Verlauf des 13. Jahrhundert der Kern des Hospizes im Westen und im Norden um einen Drittel ausgebaut werden.

Diese Vielzahl von Gütern und Besitztümern hatte aber bald einmal ein Nachlassen der Disziplin der Ordensmänner zur Folge. Zudem lebte der Probst von seinen Mitbrüdern entfernt, bisweilen in Rive (Thonon), bisweilen in Etoy (Waadt). Ein Dekret des Generalkapitels von 1333 hielt bereits den Sachverhalt fest : „Es wurde anerkannt, dass die Ordensleute von Mont Joux einem uralten Brauch und einer sehr alten Konstitution gemäss, immer berechtigt waren und es auch in Zukunft sein werden, nach freiem Belieben und ihrem Willen nach über ihren Erwerb zu verfügen.“

So wollte man dann nur noch mit Reichtum ausgestatte Männer zu den Gelübden zulassen, die über ihren Besitz frei verfügen konnten, mit dem einzigen Vorbehalt, dass sie dem Probst seinen ihm zustehenden Anteil überliessen.

Jean d’Arces, Probst von 1417 bis 1438, der die Verschlechterung dieser Situation sah, wollte die Missbräuche bremsen. So erarbeitete er einen Reformplan, der anlässlich zweier Kapitel 1437 angenommen worden ist. Der erste Teil dieses Planes betraf die religiöse und gastbetriebliche Wirtschaftsführung, der zweite die Missbräuche und Übertretungen, die es zu korrigieren galt. Ordensleute sollen sich „nicht der Jagd hingeben, nicht tanzen, nicht laut lachen, nicht Tavernen besuchen, nichts singen, was gegen die Regel verstösst… keine grellfarbenen Kleider tragen, auch keine Talare mit Knöpfen, mit gehäkelten Verzierungen, weiten Ärmeln oder Schuhe, die so schmal und buntgemustert waren, dass diejenigen, die sie trugen, nicht besser bekleidet waren als Adam und Eva mit den Blättern des Feigenbaums. Es war verboten, feines Leinen zu haben und den Kragen des Hemdes über den Saum der Tunika heraustreten zu lassen…Schusswaffen, Jagdmesser, silberne Schnupftabakdosen zu tragen… ohne Erlaubnis zu den heiligen Stätten zu gehen…“

„Die Tonsur wird gemäss den überlieferten Regeln getragen … nicht länger werden die Griechen imitiert, die Haare werden also kurz geschnitten… Prüfer und Direktoren werden eingesetzt, die die Ordensleute korrigieren, bestrafen und unterweisen sollen, die weder singen, noch lesen, noch die Sakramente verwalten, ja nicht einmal die Konsekrationsworte aussprechen können…“

Doch Jean d’Arces zog sich bald einmal zurück, um 1438 zum Erzbischof von Tarantaise geweiht zu werden. Die neue Konstitution wurde alsbald nur noch als eine Art Foltergesetz betrachtet und geriet so in Vergessenheit, bis sie erst zwei Jahrhunderte später wiederauftauchte.

Ab 1437 hatte sich Papst Eugen IV. die Ernennung des Probstes vorbehalten, aber sein Nachfolger, Nikolaus V, gewährte dem Haus von Savoyen ein Ernennungsrecht. Unter dem régime commendataire herrschte Verschwendung und Verfall. Trotz des Widerstands der Ordensleute und sogar des Heiligen Stuhls, trotz der Dekrete des Konzils von Trient, veräusserten die Pröbste commendataire einer nach den anderen Gütern und Besitztümer. Das Haus von Savoyen besetzte selbst von 1458 bis 1509 den Sitz des Probstes und von 1510 bis 1563 celle de la Forèt. ???

Bis zur Spaltung (1752)

Im Jahr 1555 zerstörte ein Grossbrand die Dächer und den Oberteil der Mauern des Hospizes. Trotz der Beschwerden der Ordensmänner, die unter erbärmlichen Bedingungen lebten, wurden die Restaurationsarbeiten erst drei Jahr später in Angriff genommen. „Wir warten zufrieden“ bemerkt M. L. Blondel „die Ruinen zu räumen, die Mauern hochzuziehen, grosse Strebepfeiler und Spitzbögen gegen die Fassaden zu bauen, die Säle und die Kirche zu weissen und zu verputzen, und schliesslich die Dächer zu machen, indem diese mit grossen Steinen bedeckt wurden. Nach der ersten Phase der Arbeiten wurde eine Dielenwand errichtet, um eine der halboffenen Fassaden zu schliessen, damit das Haus vor Schnee geschützt war.“

Zu jener Zeit war der Gr. St. Bernhard wohl durch Befestigungsanlagen geschützt. Auf jeden Fall bemerkt man auf einer Zeichnung der Kirche und des Hospizes von 1626 eine mit Schiessscharten ausgestattete Mauer, die südlich hinter den Gebäuden stand. Es ist daher wahrscheinlich, dass ein Wall errichtet worden ist, der mit dem Hospiz verbunden war und der den Pass auf Walliser Seite versperrte. Auf der anderen Seite, beim Plan de Jupiter, muss es wohl eine ähnliche Mauer gegeben haben, wie jene, die in Saint Rhémy den Weg ins Tal versperrte. Es ist bekannt, dass es im April 1476 zu heftigen Kämpfen zwischen den Wallisern, die mit den Bernern verbündet waren, und den Truppen des Grafen von Challant auf dem Pass selbst gekommen ist, auf dem sich die Piemonteser verschanzt hatten, um ihren Rückzug zu decken. Diese Kämpfe forderten in der „Combe des Morts“ eine grosse Anzahl Opfer. Die Piemonteser haben bei diesen Auseinandersetzungen bestimmt eine bereits bestehende Befestigungsanlage benutzt. Und die Überlieferung besagt, dass die neue Leichenhalle im Jahr 1476 errichtet worden ist, um die Opfer dieser Kämpfe zu bestatten.

Die Gebäude mussten ständig gewartet und repariert werden. So war es das ganze 17. Jahrhundert hindurch. Während der Zeit, als Antoine Norat (1671 bis 1693) Propst war, wurden die Hauptarbeiten ausgeführt. Er liess das ganze Hospiz umgestalten und die heutige mit schönem Chorgestühl ausgestatte Kirche erbauen, die 1689 von Adrian von Riedmatten, Bischof von Sitten, geweiht worden ist. Sie ist das Werk des piemontesischen Baumeisters Jean-Antoine Marcoz, gebürtig aus Briossogne,

In den 33 Jahren seiner Amtszeit (1611 bis 1644) hatte sich die Probst Roland Viot trotz des Anspruchs der Savoyer, ihre Befehlsgewalt aufrecht zu erhalten, bemüht, das Hospiz in Stand zu bringen . Die Eintracht zwischen dem Haus Savoyen und den Ordensleuten konnte aber nicht wiederhergestellt werden. Das Generalkapitel vom Mont Joux wählte einen Probst, und das Haus Savoyen ernannte einen anderen. Fortwährend wurde in Rom rekurriert. Die Walliser unterstützen dabei die Rechte des Kapitels.

Der berühmte Assistent von Propst Persoc (1693 bis 1724), Louis Boniface, hatte noch als einfacher Ordensmann beschlossen, die in Vergessenheit geratenen Konstitutionen in Kraft zu setzen und die strikte Observanz der Regel zu erlangen. In jeder Sitzung des Kapitels und trotz des Widerstands einiger Mitbrüder brachte er mit Beharrlichkeit und Ausdauer dieses Thema vor. Der Probst seinerseits klagte ihn an, dass er damit eine Visitation durch den Nuntius aus Luzern provozierte, der im August 1710 im Hospiz eintraf. Dieser forderte von der ganzen Gemeinschaft die Unterzeichnung eines Dekrets, das die Konstitutionen betraf, „um jeden Ordensmann zu verpflichten, diese zu befolgen, so wie sie es ‚expresse et nominatim‘ in ihren Gelübden versprochen hatten“. Es folgte darauf die Spaltung der Gemeinschaft in zwei Gruppierungen, eine, die konstitutionelle, bestehend aus jenen Ordensmännern, die dieser Konstitution folgten und eine, die antikonstitutionelle, jener, die sie nicht befolgten.

Boniface hätte wahrscheinlich seine Ziele erreicht, wenn ihn nicht der Tod zu Beginn seiner Amtszeit als Probst (1724 bis 1728) überraschend ereilt hätte. Es wäre ihm gelungen, das Recht zur freien Wahl des Probstes durch die Gemeinschaft und aller damit verbundenen Rechte zu erlangen. Léonard Jorioz folgte ihm (1728 bis 1734), aber das Wallis widersetzte sich, dass er Besitz von seinem Amt nahm. Er konnte daher nur die in den sardischen Staaten gelegenen Güter verwalten.

Nach dem Tod von Jorioz versuchte der König von Sardinien zweimal einen Nachfolger zu bestimmen, die jedoch vom Kapitel nicht anerkannt worden sind. 1749 unternahm er einen dritten Versuch, dem jedoch nicht mehr Erfolg beschieden war. Papst Clemens XII. ernannte seinerseits 1735 den Chorherren Jean-François Michellod zum Generaladministrator der Propstei. Noch 1750 wurde eine Vereinbarung vorgeschlagen, um die Befürworter und Gegner der Reform zu versöhnen. Dieser bestand darin, die Güter aufzuteilen und zwei Hospize zu errichten, eines auf dem Grossen und eines auf dem Kleinen St. Bernhard. Dieser erfolglose Versuch war der letzte Versuch.

1752 erliess Papst Benedikt XIV. ausser sich vor Wut die sogenannte Trennungsbulle. Sie wies alle Besitztümer diesseits der Alpen dem militärischen Orden des hl. Mauritius und Lazarus zu und säkularisierte die Ordensleute der antikonstitutionellen, sich zu den Sarden bekennenden Gruppe. Das ist der Grund, weshalb das Hospiz auf dem Kleinen St. Bernhard, das 1466 zum Gr. St. Bernhard eingegliedert worden war, von diesem abgetrennt wurde und einem Weltpriester unterstellt wurde, dem die Bewirtung übertragen worden ist. Den Wallisern und den Befürwortern der Reform wurde das Hospiz auf dem Gr. St. Bernhard und die Besitztümer, die auf Walliser Boden lagen, zugwiesen. Die Bulle anerkannte schliesslich auch den Ordensmännern des Klosters das Recht zu, ihren Probst frei wählen zu können.

Die zurückgewonnene Freiheit war für den Gr. St. Bernhard teuer, die Propstei verlor mit einem Schlag drei Viertel seiner Mitglieder ; seine finanziellen Mittel, um den Anforderungen der Gastfreundschaft nachkommen zu können, wurden stark beschnitten. Auch die Diözese von Aosta war von diesen Massnahmen betroffen. Die Pfarreien des Aostatals, die von den Chorherren betreut wurden, waren Stätten, in denen Priesterberufungen gedeihen konnten. Nach der Ausbildung kehrten die Jungpriester in das Tal zurück, um dort als Priester zu wirken.

Von Napoleons Passüberquerung (1800) bis in unsere Tage

Der ursprünglich aus dem Goms stammende François Bodmer, der erste Walliser Probst (1753 bis 1758), machte Martinach zu seinem Sitz. Claude-Philibert Thévenot (1758 bis 1775) erhielt von Papst Clemens XIII 1762 für sich und seine Nachfolger das Recht, Mitra und Kreuz zu tragen.

Louis-Antoine Luder, der 1775 zum Probst gewählt worden war, hatte eine bewegte Amtszeit. Im Jahr seiner Wahl brach im Kamin der Hospizküche ein Feuer aus. Dieses Ereignis öffnete den Chorherren die Augen für manche Gefahren, denen das Hospiz ausgesetzt war. Es gehörte somit zu den Aufgaben des neuen Probstes, die Einrichtungen des Hospizes weiterzuentwickeln. Er baute unter anderem das Spittel Saint-Louis, ein Gebäude, das auf der nördlichen Seite des Passes zu stehen kam und das mit einem mächtigen Mauerkeil, ausgestattet war, dessen Aufgabe es war, Lawinen zu entzweien.

Die Turbulenzen der französischen Revolution waren bald einmal auch bis ins Hospiz spürbar. Zu einem Zeitpunkt als sich das Hospiz langsam von der Spaltung erholt hatte, kam es allenthalben zu überstürzten Entwicklungen. Im Wallis war es das Ende der Republik der VII Bezirke durch die Unabhängigkeitserklärung des Unterwallis, gefolgt von dessen Eingliederung in die helvetische Republik mit den Folgen der Einmischung Frankreichs und den aufeinanderfolgenden Aufständen des Oberwallis, die jeweils heftig unterdrückt wurden, Souvarof und Massena aux prises en Suisse

Die Überquerung des Passes durch Napoleon im Mai 1800 bewegte die Phantasie der Zeitgenossen, in welcher sofort Erinnerungen an Hannibals Passage hervorgerufen worden sind. Und noch heute gibt es dazu im Gedächtnis des Volks ein ohrenbetäubendes Echo des jugendlichen Triumphes, vor allem dank der Erzählung Thiers, der in seiner Geschichte des Konsulats und des Kaiserreichs dieses Ereignis in epischer Grösse für die Nachwelt festhielt.

Jeder kennt die erstaunliche Expedition dieser in Dijon unter dem nominellen Kommando von Berthier gebildeten Reservearmee, die den Sieg in Marengo errungen hat. Aber lassen wir hier einem Mitglied dieser Armee, Kapitän Coignet, das Wort, der uns in seinen Notizbüchern eine bildhafte Geschichte vom Aufstieg zum Hospiz hinterlassen hat :

„Von Lausanne aus …. marschierten wir das Rhonetal hinauf und kamen in Saint Maurice an. Von dort starteten wir nach Martinach (alle Dörfer, die wir durchquerten, waren in einem Zustand, der kaum erbärmlicher hätte sein können). Wir bogen dann in ein anderes Tal ein, das man gut Tal der Hölle nennen könnte), hier verliessen wir das Rhonetal, um das Tal hinaufzusteigen, das zum Gr. St. Bernhard führt. So kamen wir in Bourg St. Pierre an, das am Fuss der Schlucht des Sankt Bernhard gelegen ist.
Dieses Dorf besteht nur aus mit Brettern bedeckten Baracken und riesigen Scheunen, in denen wir alle durcheinander geschlafen haben. Hier legten wir in Gegenwart des Konsuls alle unsere Ausrüstungen ab. (Là, on démonta tout notre petit parc, le Consul présent. L’on mit nos trois pièces de canon dans une auge ; au bout de cette auge il y avait une grande mortaise pour conduire notre pièce gouvernée par un canonnier fort et intelligent qui commandait quarante grenadiers.)

Wir stellen unser drei Kanonenteile in einen Futtertrog. Am Ende dieses Trogs befand sich eine …

Mit absoluter Stille muss man ihm auf alle Bewegungen gehorchen, die sein ….. tun konnte. Sagt er : „Stopp !“ Durften wir uns nicht mehr bewegen. Sagt er „Vorwärts !“ mussten wir voranschreiten. Er war ja schliessllich der Meister.
Alles war bereit für den nächsten Tag im Morgengrauen, und wir bekamen Kekse verteilt und zwei Paar Schuhe. Am selben Abend stellte der Kanonier seine Truppe zusammen, die jeweils aus Einheiten von 40 Grenadieren bestand.
In der Morgendämmerung platzierte uns unser Meister, zehn auf jeder Seite. Ich war der erste, rechts vorne, das war die gefährlichere Seite, denn es war die Flanke an der Seite des Abgrunds. Zwei Männer trugen die Radachse, zwei trugen ein Rad, vier trugen die Oberseite des Kastens, acht den Kasten, acht andere die Gewehre. Alle waren wir beschäftigt, jeder auf seinem Posten.

Diese Reise war überaus mühsam. Von Zeit zu Zeit erschallte der Befehl „Stopp !“ oder „Vorwärts !“ und niemand sagte auch nur ein Wort. Freilich, das war noch einfach, aber dann erreichten wir den Schnee, und da wurde es richtig ernst. Der Weg war mit Eis bedeckt, das unsere Schuhe zerschnitt und unser Kanonier konnte sein Gerät nicht beherrschen. Es rutschte ab. Wir mussten es neu zusammensetzen. Es bedurfte des Muts dieses Mannes, es zu halten. „Stopp !“ „Vorwärts !“ schrie er in jedem Moment. Und alle schwiegen…

(Fetzen) … und ein Stück Kekse abbrechen …

…und da starteten wir, mit neuen Schuhen, von neuem. „Auf, meine Pferde“ sagte unser Kanonier, „auf eure Posten, vorwärts ! Sobald wir auf dem Schnee sind, wird es besser gehen, dann wird es weniger mühsam sein.“

So erreichten wir die Schrecken des ewigen Schnees, und es ging uns besser, denn unsere Waffe rutsche schneller. Da kam der General Chambarlhac vorbei und wollte unseren Schritt schneller machen. Er ging zum Kanonier und nahm den Ton des Befehlshabers an, aber er wurde schlecht empfangen.

„Nicht Sie befehligen meine Truppe“ sagte der Kanonier „ich bin dafür verantwortlich. Gehen Sie Ihren Weg. Diese Grenadiere gehören Ihnen in diesem Augenblick nicht. Ich allein bin ihr Befehlshaber.“

Er wollte auf den Kanonier zugehen, aber dieser stoppte ihn. „Wenn Sie sich nicht von meiner Truppe zurückziehen“ sagte er „schlage ich Sie bewusstlos. Gehen Sie weiter oder ich werfe Sie den Abgrund hinunter.“

So sah er sich gezwungen weiterzugehen und wir kamen unter unerhörten Anstrengungen am Fuss des Klosters an. Mit vierhundert Schritten war unser Aufstieg sehr schnell. Beim Kloster angekommen, sahen wir, dass schon vor uns Truppen vorbeigekommen waren. Der Weg war gepflastert und um zum Kloster zu gelangen, waren Stufen in den Felsen geschlagen worden. Wir legten unsere drei Teile ab und betraten, insgesamt 400 Grenadiere, zusammen mit einem Teil unserer Offiziere das Gotteshaus, wo jene Ordensmänner lebten, die ihr Leben der Menschheit geweiht haben, um allen Reisenden Hilfe anzubieten und ihnen beizustehen. Ihre Hunde werden immer noch eingesetzt, um die Unglücklichen zu führen, die in Schneelawinen geraten könnten, und sie zu diesem Zufluchtsort zu bringen, wo sie alle Hilfe erfahren, die einem Menschen geschuldet ist. Währenddem unsere Offiziere und unser Oberst in gewärmten Sälen waren, erhielten wir von diesen ehrwürdigen Ordensmännern einen Kübel Wein, einen Viertel Laib Gruyère-Käse und ein Pfund Brot. Wir wurden in den sehr langen Gängen untergebracht. Diese guten Ordensmänner taten uns alles, was ihnen möglich war und ich glaube, sie wurden von uns gut behandelt. Was uns anbelangt, wir drückten bei unserem Weggang die Hände dieser guten Patres und wir umarmten ihre Hunde, die uns abschleckten, als ob sie uns kennen würden. Ich kann keine Worte finden, um all die Verehrung auszudrücken, die ich für diese Männer empfinde…“

Nach der Schlacht in Marengo setzte der Erste Konsul bald seinen Plan um, zwischen Frankreich und Italien über den Simplonpass eine kommerzielle und strategische Route zu eröffnen, die kürzer und sicherer ist, als der Weg über den Gr. St. Bernhard. Aber da ihm sein Zug über den Gr. St. Bernhard die Vorteile eines Hospizes auf den Alpenpässen erkennen liess, befahl er den Bau zweier solcher Hospize, eines auf dem Mont Cenis und das andere auf dem Simplon. Die beiden unterstellte er dem Probst auf dem Mont-Joux. Das Hospiz auf dem Simplon, das heute noch von dieser Kongregation betreut wird, wurde von der französischen Regierung gestiftet und besetzte bis zur Fertigerstellung des Gebäudes auf dem Pass, das alte Stockalperhospiz, das etwas unterhalb des Passes steht.

Die napoleonische Herrschaft war auch geprägt von dem zeitweiligen, aber nie wirklich effektiven, Zusammenschluss der Abtei von St. Maurice mit dem Hospiz auf dem Gr. St. Bernhard.

Nach 1815 kehrte alles wieder zur normalen Ordnung zurück. Aber das Hospiz war nicht am Ende seiner Schwierigkeiten. Von 1812 bis 1827 liess Propst Genoud das Kloster vergrössern, in dem er es um eine zusätzliche Etage erhöhte, dessen Ausgaben zum Teil von öffentlichen Zuschüssen gedeckt worden sind. Auch der Bau des Hospizes auf dem Simplon wurde weiterverfolgt. Die Fertigerstellung erfolgte 1832. Aber das Hospiz erlitt in diesen Jahren noch die Folgen der Niederlage des Sonderbundes und war eine Zeit lang, unter Probst Filliez, von seinen Einkünften beraubt.

Die Gemeinschaft

Die Kongregation der Chorherren vom Gr. St. Bernhard wird heute (2019) von Mgr Jean-Michel Girard geleitet, der 2016 als Nachfolger von Mgr. Jean-Marie Lovey, dem gegenwärtigen Bischof der Diözese Sitten, zum Probst gewählt worden ist. Sie zählt etwas mehr als 30 Mitglieder (Chorherren, Brüder, Seminaristen, Novizen und seit einigen Jahren auch eine kleine Anzahl von Frauen, die als Oblatinnen das Gebetsleben und die Aktivitäten der Gemeinschaft mittragen).

Da auch diese Kongregation, wie die allermeisten Orden in Westeuropa, in den vergangenen Jahren kaum mehr Berufungen fand, musste sie viele ihrer Werke schliessen. So trat sie ihre beiden Schulen, die landwirtschaftliche Schule in Aosta, und das Gymnasium Champittet bei Lausanne ab, und gab viele Pfarreien, die sie z.T. während über 800 Jahren betreute, den Bischöfen von Sitten und von Aosta zurück.

Heute führt sie noch das Hospiz auf dem Gr. St. Bernhard und jenes auf dem Simplon.
Die meisten Chorherren wirken als Seelsorger in den Pfarreien des Bezirks Entre-Monts. (Bourg-Saint-Pierre, Liddes, Orsières, Sembrancher, Bovernier, Martigny, und im Bagnestal.

Drei Chorherren sind in Taiwan, wo sie in der Region von Hualien als Missionare tätig sind.

Die Seminaristen leben zeitweilig in Fribourg, wo sie an der theologischen Fakultät das geistige Rüstzeug erhalten, und zeitweilig in den Hospizen und im Zentralhaus der Kongregation in Martigny, wo auch die meisten der alten Mitbrüder ihren Lebensabend verbringen.